Es weht ein Wind...
Corona hat viele von uns vor große Herausforderungen gestellt. Und tut es immer noch.
Gleichzeitig erlebe ich manche Veränderung seit März mit einem guten Gefühl. Dazu gehört, dass sich gerade viel in der Haltung gegenüber Online-Arbeit bewegt. Hier weht ein frischer Wind an Offenheit und Mut. Auch in meinem Fachfeld.
Und so gibt es derzeit mehr Kreativität und viele Möglichkeiten im Bereich der Online-Therapie (Online-Psychotherapie,
Online-Paartherapie), der psychologischen Onlineberatung und anderen Bereichen wie z.B. der Online-Supervision.
Es gibt Dinge, die ich an der Arbeit in meinem Praxisraum in Darmstadt für unersetzbar halte. Und es gibt wertvolle, unersetzbare Seiten an der Arbeit in meiner Online-Praxis.
Und so wie alles im Leben mehr als eine Seite hat, gibt es auch in der Online-Therapie und der Onlineberatung Punkte, die sich vielleicht als "Nachteil" beschreiben lassen. Meines Erachtens nach darf es darum gehen, wie wir die Vorteile optimal nutzen und einen angemessenen Umgang mit den Nachteilen finden können. Wobei es auch immer eine individuelle Frage ist, was von einem Menschen als Vor- oder Nachteil erlebt wird. Das hier Beschriebene betrifft meine Sicht. Und das muss nicht für jede*n Gültigkeit haben.
(Und ein offener Blick ist sicherlich berechtigt. Denn ja. Es gibt qualitativ schlechte Onlineangebote - so wie es eben in allen Bereichen unterschiedliche Qualitäten gibt.)
Ich beziehe mich hier auf individuelle Begleitung von Einzel-/ Paar-/ Gruppenprozessen, nicht auf Kurse oder Programme. Letztere können sicherlich auch hilfreich und wertvoll, sind aber etwas anderes. Und da ich inzwischen in meiner Praxis fast ausschließlich mit Paaren arbeite (bzw. Einzelpersonen, die an ihrer Partnerschaft arbeiten möchten), schreibe ich hier über Online-Paartherapie.
Vorteile der Online-Paartherapie
Der Raum für würdevolles Zusammenarbeiten kann auch ein virtueller Raum sein. Denn: entscheidend ist, wie dieser Raum gestaltet wird. Das ist weniger abhängig von der Unterscheidung online/ offline. Sondern eher davon, ob sich ein*e Therapeut*in im berufsethischen Rahmen bewegt. Ob sich Klient*innen mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten wohlfühlen. Ob die therapeutische Ausrichtung zu dem passt, was das Paar sich wünscht.
Manchen Klient*innen ist es durch Online-Termine überhaupt erst möglich, eine professionelle Unterstützung zu nutzen. Einigen Eltern zum Beispiel. Manchmal reichen die Zeit- und Energieressourcen nicht aus für lange Anfahrtswege. Oder die Suche nach Babysitter*innen.
Manchen Menschen fällt der Start in die Therapie leichter, wenn sie zu Hause, in ihrem physischen Wohlfühl-Wohnzimmer, sitzen dürfen. Das kann Klient*innen den Zugang zu ihrem inneren Wohlfühl-Wohnzimmer erleichtern. Von diesem Bild spreche ich immer wieder. Als Metapher für unseren biologischen Zustand in dem Nähe, Verständnis, Kreativität und das Erfinden von Lösungen möglich sind.
In der Online-Paartherapie werden Klient*innen und Therapeut*innen zum vereinbarten Zeitpunkt per Video-Gespräch miteinander verbunden.Technisch ist es in unkomplizierter Weise möglich, Elemente in Anlehnung an videogestützte Therapiekonzepte zu integrieren - falls dies gewünscht ist. Wichtig ist hierbei, dass dies, wenn dafür Gesprächssequenzen aufgezeichnet werden sollen, einer expliziten Absprache mit den Klient*innen bedarf.
Die Feinzeichen in der Körperhaltung der Partner*innen lassen sich wunderbar beobachten und für die Klient*innen nutzbar machen kann (etwas anders ist es bei den Feinzeichen in der Mimik - da kommt es insbesondere auch auf die Kamera der Klient*innen an und im Allgemeinen kann ich diese besser im Praxisraum offline in die Arbeit einbeziehen).
Mit Feinfühligkeit die Möglichkeiten nutzen, die uns zur Verfügung stehen
Grundsätzlich empfinde ich die Trennung von online vs. offline in der Paartherapie eher als ein Artefakt. Es gibt z.B. die Idee, dass Therapie nur möglich ist, wenn Therapeut*innen und Klient*innen gemeinsam in einem physischen Raum vor Ort sind. Diese kann dazu führen, dass Fachleute (auch gute) Online-Unterstützung vorenthalten. Oder Klient*innen sich nicht trauen, eine Therapie online auszuprobieren, auch wenn sie es gerne würden.
Ich wünsche mir für die Online-Paartherapie, dass sie den Charakter einer Besonderheit für besondere Zeiten (wie zum Beispiel während der Coronapandemie) verliert. Und sie als eine normale Möglichkeit der Unterstützung für Paare dastehen kann. Nicht um Therapie in den Praxisräumen vor Ort zu ersetzen. Vielmehr, damit sie eine von mehreren Möglichkeiten sein kann. Aus denen Klient*innen und Therapeut*innen das wählen können, was für sie stimmig ist.
Dies ist das Blog des Halthafens.
Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein