Über Herausforderungen in der Coronazeit, Kinderbücher und neue Formen psychologischer Begleitung - Jahresrückblick 2021 und Ausblick in 2022

Unser Alltag im zweiten Coronajahr

Es sind nur ein paar wenige Dinge, die wir wirklich brauchen. Diese sind so grundlegend, dass es uns auf Dauer nicht gut gehen kann, wenn wir zu wenig davon haben - oder, wenn sie ganz fehlen.

Wir brauchen Wasser und Essen, das uns nährt. Wir brauchen Schutz vor Gefahren.

Wir brauchen Körperkontakt.

Wir brauchen Menschen, die uns anlächeln, in deren Gesichtern wir lesen können, dass alles in Ordnung ist. Wir brauchen Halt und Orientierung, wenn wir nicht weiterwissen.

 

Seit dem Beginn der Corona-Pandemie stecken wir in einem Dilemma.

Durch Kontaktreduktion, den Abstand zueinander und die Schutzmasken versuchen wir uns selbst und einander zu schützen (Grundbedürfnis Schutz).

...und wir spüren gleichzeitig, dass uns etwas fehlt. Denn einander zulächeln, die liebevollen Gesten, die kurzen Berührungen, so manche Rituale und ein Teil der guten Zeit mit unseren Lieblingsmenschen an unseren Lieblingsorten sind weniger geworden (Grundbedürfnis nach Verbindung und nach Orientierung).

 

Jeder blickt auf diese Welt durch seine Brille. Und so hatte ich auch in diesem Jahr häufig ein ungutes Gefühl beim Blick auf unseren Alltag mit meinen Hintergrund als Paar- und Familientherapeutin.

 

Ich arbeite mit Menschen daran, (wieder) miteinander in Verbindung zu kommen.

Aus bindungs- und stresspsychologischer Sicht war auch dieses Jahr eine besondere und große Herausforderung für uns.

 

Wenn wir weniger gut in den Gesichtern anderer Menschen "lesen" können, uns seltener umarmen oder allgemein berühren, dann kann das Auswirkungen auf unser Wohlbefinden haben.

 

Unsere Grundbedürfnisse machen keine Pause - auch nicht, wenn wir in einer Pandemie stecken und versuchen, mit dem Coronavirus einen Umgang zu finden. Im Gegenteil, unsere Bedürfnisse nach Verbindung und Orientierung "rufen" umso lauter, je unruhiger es da draußen ist.

Somit dürfen wir uns fragen, wie es uns gelingen kann, "trotz allem" miteinander in Verbindung bleiben zu können.

 

Ganz unabhängig davon, wieviel Abstand wir draußen zueinander halten müssen: zu Hause können wir die Maske abnehmen. Das ist für uns alle wichtig und im Besonderen für unsere Kinder. Sie brauchen zu Hause und in ihren Umgebungen einen besonders feinfühligen Umgang in diesen Zeiten, damit sie eventuell verpasste Entwicklungen aufholen können und nicht von psychischen Belastungen durch die Corona-Zeit betroffen sind (ich kann zu diesem Thema das Buch "Corona Kids" von der Entwicklungspsychologin Nicole Strüber sehr empfehlen).

 

Ein psychologisches Kinderbuch über Bindung, Trennungen und das Vermissen

Im Juli 2021 sind "Ela und Elmo" erschienen. In meinem psychologischen Kinderbuch über Bindung geht es um unser Grundbedürfnis nach Nähe zu vertrauten Menschen auf der einen Seite und um Verletzungen und das Vermissen auf der anderen Seite.

Als ich mit dem Schreiben begonnen habe, gab es die Pandemie noch nicht. Nun, durch SARS-CoV-2, sind diese Themen noch einmal auf ganz neue Weise relevant geworden.

 

Es ist wunderbar zu hören, wie Eltern und Fachleute das Buch nutzen. Einige haben mich daran teilhaben lassen, welche Rolle das Buch in ihrem Alltag spielt: Kinder reisen mit ihren Eltern am Abend noch einmal in Gedanken zu ihren Zaubermomenten des Tages. Es ist für mich eine besonders schöne Vorstellung, dass die Kinder mit einem inneren Beutel voller Zaubermomente in den Schlaf reisen. Einige Kolleg*innen haben berichtet, dass sie mithilfe von Ela und Elmo neues Vokabular entwickeln, um mit Familien über unser Bindungsbedürfnis zu sprechen.

 

Ich selbst nutze das Buch in der Praxis einerseits in der (Online-) Paartherapie und Paarberatung, denn Paare versuchen stets eine Balance aus ihren Grundbedürfnissen nach Bindung und Autonomie zu finden. Hier kann es sich zum Beispiel lohnen, bindungsbezogene Emotionen und Verhaltensweisen in den Blick zu nehmen.

Außerdem nutze ich Illustrationen aus Kinderbüchern, um mit Familien Collagen zu erstellen und über den Umgang mit Emotionen in der Familie ins Gespräch zu kommen. Eine schöne Erkenntnis ist immer wieder, wenn wir sehen, dass Emotionen selten allein oder in ihrer Reinform daherkommen. Wenn in einer schwierigen Situation jemand für uns da ist und Anteil nimmt, vielleicht berührt ist von unserem Schmerz und uns hält, dann ist der Kummer zwar da, aber eben auch noch einige andere "emotionale Schätze".

 

"Ela, Elmo und die Zaubermomente" ist - ohne, dass es beabsichtigt war oder die Pandemie benannt wird, ein Kinderbuch über Corona - oder vielmehr über das, was in der Pandemie vielleicht am meisten zählt.

 

Die Arbeit an psychologischen Kinderbüchern ist eine sehr besondere Arbeit. Ich möchte psychologisches Wissen für Familien in Worte und Bilder verpacken, die im Familienalltag hilfreich und nutzbar sind. Im Frühling wird mein Buch über Fehler und für eine günstige Fehlerkultur erscheinen, das ich mit der wunderbaren Illustratorin Anna Lisicki-Hehn umgesetzt habe: "Mia und Mama machen Marmelade - ein Rezept für einen liebevollen Umgang mit Missgeschicken und Macken".

 

Das Jahr in meiner Praxis für Paartherapie in Darmstadt und in der Paarberatung online

In der Praxis für Paartherapie in Darmstadt sowie auch in meiner Online-Praxis für Paare und Eltern konnte ich auch in diesem Jahr nicht allen interessierten Paaren einen Termin anbieten. Viele Paare wollten sich in diesem Jahr auf den Weg machen und einen Blick auf ihre Beziehung wagen. In meiner Praxis haben auch viele ehemalige Klient*innen wieder angeklopft, die durch die aktuelle Situation an ihre Belastungsgrenze gekommen sind. Meine Standpunkte "neuen Paaren" möglichst zeitnah einen Termin anbieten und auf die Anfragen ehemaliger Klient*innen möglichst flexibel reagieren zu können, habe ich an vielen Stellen aus Kapazitätengründen nicht unter einen Hut bringen können. Insbesondere junge Paare mit Kindern haben verständlicherweise den Wunsch später am Abend oder am Wochenende Termine zu machen.

 

Diese Punkte ließen mich in eine neue Richtung denken: Ich freue mich, dass ich allen interessierten Eltern 2022 in den Mitgliederbereich meiner Praxis einladen darf. Hier biete ich in einem geschützten Mitgliederbereich Begleitung und Materialien an. Im Mitgliederbereich bekommen Eltern geschützten Zugang zu meiner Arbeit als systemische Paar- und Familientherapeutin. Eltern- und Liebespaare können gemeinsam oder einzeln die Online-Sprechstunde bei allen Fragen rund um Partnerschaft und Familienleben nutzen. Ich stelle als Fachautorin Texte zu paar- und familienpsychologischen Themen zur Verfügung und Mitglieder erhalten Einblicke in meine Arbeit an und mit psychologischen Kinderbüchern. Außerdem können Mitglieder hier voneinander profitieren: sie finden den Halt in einer Gruppe von Menschen, die ähnliche Hürden und Herausforderungen erleben.

 

Unser Leben findet in der Gegenwart statt

Ich habe auch in diesem Jahr sehr viel gelernt, ich denke am meisten von meinen Kindern und ebenfalls sehr viel von meinem Klient*innen. Meine Kinder holen mich konsequent und eindrücklich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie erinnern mich daran, dass unser Leben in genau den 3 Sekunden der Gegenwart stattfindet und nicht in der Vergangenheit oder im Morgen - und schon gar nicht in 10, 20 oder 30 Jahren.

 

Und da versuche ich auch die Corona-Zeit als Erinnerung daran zu nutzen, dass wir nicht wissen, was diese Welt an Überraschungen noch bereithält. Die schönen Überraschungen sollten wir auskosten, die schlechten können wir womöglich nicht verhindern. Das macht mir wenig Angst. Ich versuche die "Werkzeuge" zu nutzen, die uns als Menschen zur Verfügung stehen, um durch schwierige Zeiten zu rudern und die uns akzeptieren helfen, was sich nicht ändern lässt. Ich erinnere mich immer wieder daran, dass wir unsere zutiefst menschlichen Bedürfnisse würdigen und die dazugehörigen Gefühle "angemessen behandeln" dürfen: die Traurigkeit, die Wut, das Vermissen.

 

Ich wünsche allen Leser*innen, Klient*innen und Kolleg*innen einen schönen Jahresausklang und bedanke mich für die wertvollen Begegnungen.

 


Dies ist das Blog des Halthafens.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.