Warum dich die Klamottenwahl deines Partners oder deiner Partnerin nichts angeht - Verletzungen, Würde und Integrität in Liebesbeziehungen

Was Kleiderschränke mit bindungsorientierter (Online-) Paartherapie zu tun haben

Paare wollen, dass ihre Partnerschaft frei von Druck und gegenseitigen Angriffen auf die Würde ist. Die allermeisten von uns würden der Aussage zustimmen, dass sich in einer Liebesbeziehung die Partner*innen von Grund auf wohl- und respektiert fühlen sollen. Mit ihrer urpersönlichen Art, sich mitzuteilen, mit eigenen Geschmacksvorlieben beim Essen, persönlicher Lieblingsmusik und Hobbies usw.

 

Eigentlich.

 

Denn im echten Leben, gerade im Familienalltag, wenn Stress im Familienalltag und große Gefühle uns herausfordern, zeigt unser Verhalten, dass wir an dieser Idee manchmal scheitern.

Gerade, wenn Entscheidungen unseres Partners oder unserer Partnerin in uns viel auslösen, dann versuchen wir doch manchmal lieber, ihn oder sie zu beeinflussen.

 

In meiner Praxis für Online-Paarberatung und Paartherapie in Darmstadt darf ich immer wieder ins Leben der Familien "mit reinschauen". Paare geben mir häufig die Erlaubnis, sie darauf hinzuweisen, wenn sie anfangen, mit Worten aufeinander herumzutrampeln (wobei nicht ich entscheide, wann das der Fall ist, sondern die Partner*innen; die Mimik und die Körperhaltung verraten manchmal, wenn es einem Menschen zu viel wird, noch bevor diese vom Kopf verarbeitet wurde).

 

Wenn eine Frau beispielsweise zu ihrem Mann sagt: "In diesem engen Shirt sieht man deinen dicken Bauch. Das sieht schrecklich aus."

Nicht weil der Mann um eine ehrliche Meinung gebeten hat. Sondern weil die Sorge darum, was vielleicht die Nachbarn über den neuen Look des Partners denken könnten, gar nicht so leicht auszuhalten ist. Und es einfacher ist, den Partner durch eine Bewertung seines Körpers zu einer anderen Entscheidung zu drängen.

 

Oder wenn ein Mann zu seiner Freundin sagt: "Die nehmen dich doch in dieser Firma eh nicht. Die Bewerbung brauchst du gar nicht abschicken!"

Weil da irgendwo eine Angst sitzt. Vielleicht die Angst neben ihr klein zu wirken, wenn sie einen tollen Job in einer Firma hat, die gut bezahlt.

 

Um eigene innere Spannungen nicht aushalten zu müssen, gehen wir das Risiko ein, die eigene Integrität und gleichzeitig unsere Lieblingsmenschen zu verletzen.

 

Wahrscheinlich ist es uns allen schon einmal passiert, dass wir darauf hingearbeitet haben, dass ein Mensch ein eigenes Bedürfnis oder einen Standpunkt aufgibt, damit es uns besser geht.

Gerade auch gegenüber Kindern Verhalten sich Erwachsene übrigens sehr oft in dieser Weise.

Wenn ein solches Muster weniger eine Ausnahme als vielmehr ein Normalfall in der Kommunikation ist, lohnt es sich vielleicht genauer hinzusehen.

 

Emotionalen Druck aufbauen vs. emotionale Unterstützung in der Partnerschaft

Zu erkennen, an welchen Stellen wir emotionalen Druck aufbauen, kann erschrecken. Und die Erkenntnis, dass wir unseren eigenen Werten nicht treu sind, ebenfalls.

Das ist allerdings kein Grund sich zu verstecken. Manchmal sind diese Erkenntnisse der Beginn eines Weges, auf dem Paare nach neuen Möglichkeiten im Umgang miteinander suchen. Wir können Feingefühl füreinander entwickeln - und allem voran für uns selbst.

 

Gegenüber unseren Freund*innen und Kolleg*innen gelingt es uns übrigens meist besser entspannt und fair zu bleiben, weil sie uns nicht annähernd so nah stehen wie unsere Partnerin oder unser Partner. Wir haben weniger Erwartungen und Verpflichtungen. Bei einer Verabredung können wir uns beispielsweise nach ein paar Stunden wieder voneinander verabschieden - dann, wenn der Abend spät ist und wir müde sind. Unsere Familienmitglieder erleben aber genau dies bei uns hautnah mit: dass unsere Ressourcen manchmal erschöpft sind (für viele Eltern ist Erschöpfung der normale Dauerzustand). Gerade dann passiert es uns am ehesten, dass unsere Werte und unser Verhalten auseinandergehen: wenn wir müde, erschöpft und kraftlos sind. Es gelingt am ehesten aneinander zu respektieren, wenn (möglichst) alle Bedürfnisse erfüllt sind (über das menschliche Bindungsbedürfnis schreibe ich hier ausführlicher).

 

Wir dürfen auch bedenken: Um einen Menschen anzumeckern, Türen knallend im Raum zurückzulassen oder ihm ein Schimpfwort entgegenzuwerfen, muss er uns sehr nah stehen und wichtig sein. Das dürfen wir auch würdigen.

 

Wenn Paare sich entscheiden, einander nicht (mehr) in ihrer urpersönlichen Art anzugreifen, kommt häufig die Frage auf: Was nun? Was machen wir stattdessen mit unseren Gefühlen? Was können wir tun, wenn uns ein bestimmtes Verhalten oder eine Entscheidung des anderen Menschen unangenehm ist? Wie kann der Weg aussehen hin zu einem Austausch und emotionaler Unterstützung, die frei von Druck ist?

 

Im Spannungsfeld zwischen eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Familienmitglieder

Grundsätzlich befinden wir uns im Alltag als Familie in einem Spannungsfeld zwischen eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Familienmitglieder. Die Frage dabei lautet: Inwieweit will und kann ich auf die Vorstellungen anderer eingehen und wo möchte ich mir selber treu bleiben bzw. wo überschreite ich meine eigenen Grenzen?

 

Um hier als Paar - und auch mit den Kindern - Lösungen entwickeln zu können, dürfen wir uns selbst besser kennenlernen. Für viele Eltern- und Liebespaare ist es eine neue Erfahrung, die eigenen (unangenehmen) Gefühle wahrzunehmen und zu benennen. Dadurch können Familien überhaupt erst aus- und verhandeln, wie das Miteinander ablaufen könnte.

 

Wir könnten miteinander sprechen, unsere Empfindungen und unseren Standpunkt mitteilen - und das, was wir in einer Liebesbeziehung erwarten.

 

Der Mann aus dem Beispiel oben könnte sagen: "Du bist gut in deinem Job, die Firma will dich bestimmt haben. Ich hab echt schiss. Davor, dass es sich komisch anfühlt, weniger zu verdienen als du. Weil in mir noch die Vorstellung steckt, ein richtiger Mann muss das Geld für seine Familie verdienen."

 

Und dann kann man schauen.

 

Und die Frau könnte ebenso Verantwortung für ihre Gefühle, Gedanken und Worte übernehmen. Sie könnte beispielsweise sagen: "Das war Mist! Ich wollte so nicht über dich sprechen. Ich muss mich wohl noch an deinen neuen Stil gewöhnen. Ich werde sehen, wie ich damit klarkommen kann."

 

Immer mehr Paare nutzen auf ihrem Weg auch die Unterstützung durch eine (Online-) Partherapeutin oder einen (Online-) Paartherapeuten. Denn Hilfe nutzen ist ein Zeichen von Stärke - nicht von Schwäche.


Wer schreibt hier?

 

Dies ist das Blog des Halthafens von Julia Schneider, Psychologin und Mutter von zwei Kindern.

  

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.