Seit wann lässt sich der Alltag als Familie eigentlich mit Leichtigkeit meistern? Paare und ihre Geschichten aus der (Online-) Paarberatung und Paartherapie

Die Familie ist der wichtigste Ort für Kinder - insbesondere in den ersten Lebensjahren. Wie Mamas und Papas die Beziehung zu ihren Kindern gestalten, hat einen Einfluss darauf, wie die Kinder sich entwickeln - und ebenso hat die Beziehung der Eltern einen entscheidenden Einfluss auf das Klima, in dem Kinder aufwachsen.

 

Viele Eltern sind sich dieser Zusammenhänge bewusst - oder spüren sie irgendwie. Vor allem junge Eltern kennen den Begriff der "sicheren Eltern-Kind-Bindung" und wollen ihren Kindern ein Zuhause schaffen, in dem sie sich sicher und wohlfühlen.

 

Nur: was, wenn einem das Leben dazwischenkommt?

 

Was, wenn Elternpaare in einer Beziehungskrise stecken? Wenn Streit den täglichen Umgangston bestimmt oder Erschöpfung der Eltern dazu führen, dass es kaum noch "Zaubermomente" als Familie gibt?

 

Und wie soll man sich denn eigentlich füreinander begeistern können, wenn in der Realität keine Bilderbuch-Familie am Tisch sitzt, sondern ein ziemlich chaotischer Haufen von kleinen und großen Menschen?

 

Wie kann eine glückliche Beziehung gelingen, wenn die Energie fehlt, weil die Strukturen in denen wir leben, familienunfreundlich sind?

 

Und was ist mit den emotionalen Belastungen, wenn einem das Leben nicht nur hin und wieder Kieselsteinchen, sondern einen Felsbrocken nach dem anderen vor die Füße wirft?

 

 

Warum wir uns so schwer damit tun, Hilfe anzunehmen

Viele Eltern holen sich in Notsituationen - bei Überbelastung, Unsicherheit, häufigem Streit, Erfahrungen, die schwer zu bewältigen sind - tendenziell eher selten Hilfe - oder zu spät. Mehrere Generationen wurden bereits als Babys dazu erzogen, mit unerfüllten Bedürfnissen, den eigenen Gefühlen und Kummer allein zurechtzukommen. Auch als Kleinkinder und Schulkinder wurde uns in vielen Situationen vermittelt: "Da musst du allein durch!" oder "Du kriegst einen auf den Deckel, wenn du dich anderen Menschen mitteilst!". Glaubenssätze entwickeln sich häufig, indem sich Kinder Informationen aus dem Miteinander "herausziehen". Die Botschaften werden selten direkt benannt.

 

Kürzlich stand ich vor der Schule unseres Stadtteils und habe auf meine Tochter gewartet. Ich habe an einige Situationen aus meinem eigenen Schulalltag gedacht und über die Haltung nachgedacht, die Schüler*innen in der Schule entgegengebracht wird, wenn sie bei Schularbeiten abschreiben. Schüler*innen wurden (und werden es) fürs Abschreiben bestraft. Dabei ist es doch ein wunderbares und schlaues Prinzip, das Kinder für sich nutzen, wenn sie bei Überforderung schauen, wer weiterhelfen kann.

Dies ist ein ungewohnter Gedanke, den es aus meiner Sicht zu betrachten lohnt.

 

Unabhängig davon, was Kinder in der Schule dürfen und was nicht: Es gibt also viele Anhaltspunkte, die erklären, warum es uns immer wieder schwerfällt, Hilfe zu holen, wenn wir feststecken. Dabei sind wir als Menschen genau dafür gemacht.

 

Wir dürfen Unterstützung nutzen - nicht erst wenn alles den Bach runter geht, aber natürlich auch dann.

 

Geschichten aus der Paarberatung und Paartherapie (online)

In meiner (Online-) Praxis Paarberatung und Paartherapie arbeite ich mit Paaren, die ihre Partnerschaft und ihr Familienleben unter die Lupe nehmen und erarbeiten, was es braucht, damit sich die Erwachsenen wohlfühlen und die Kinder entwickeln können.

 

In diesem Artikel möchte ich gerne von einigen Paaren, ihren Geschichten und ihren Wegen in der Therapie erzählen*. Die Themen, die sich in den Geschichten zeigen, beschäftigen viele Paare mit Kindern.

Ich glaube, wir brauchen Modelle und anschauliche Beispiele, damit wir neue Wege finden, um mit Herausforderungen umgehen zu können. Ich freue mich, wenn diese Beispiele euch inspirieren.

 

Marie und Max:

Marie und Max haben sich vor zwölf Jahren auf einem Konzert ihres Lieblingskünstlers kennengelernt und eine spannende erste Zeit als Liebespaar erlebt. Drei Jahre nach ihrem ersten Date ist Marie schwanger geworden. Der Plan war, die Begleitung der Kinder, Haushalt und Arbeitszeiten sinnvoll zu verteilen. Es sollte "genug Zeit für alles" bleiben - auch für Kunst und Kultur. Inzwischen besteht die Familie aus vier Personen. Nach acht Jahren Alltagsspagat als Familie waren Marie und Max erschöpft - zu erschöpft, um ihre Liebesbeziehung zu pflegen. In der Online-Paartherapie haben sie Möglichkeiten erarbeitet, um Schritt für Schritt wieder zu Kräften zu kommen. Außerdem haben sie Ideen entwickelt, wie sie Musik in ihrer Partnerschaft und im Familienalltag nutzen können, um miteinander in Verbindung zu bleiben. 

 

Anne und Pablo:

Anne und Pablo haben sich als Reisende in Peru kennengelernt. Für beide war schnell klar, dass sie eine Familie gründen und zusammen reisen wollen. Zwei gemeinsame große Reisen als kinderloses Paare gehören für sie zu ihren schönsten Erfahrungen.

Annes und Pablos Sohn ist schwer krank zur Welt gekommen. Ihr Leben haben sie an die Bedürfnisse ihres Sohnes angepasst. Der Alltag ist für beide eine große Herausforderung. Es ist nicht ihre größte Sorge, dass es selten möglich ist, zu verreisen, aber diese Realität beschäftigt Anne und Pablo immer wieder. Eine stille Frustration bei Anne und Pablo führte häufig zu Streit. In der Paartherapie haben Anne und Pablo ihren Traum von damals gemeinsam verabschiedet, den Abschied betrauert und Wege gefunden, um ihre Sehnsucht nach der Ferne auf eine neue Weise stillen zu können.

 

Mona und Mike:

Für Mona und Mike war es "Liebe auf den zweiten Blick". Nach einer langjährigen Freundschaft verliebten sie sich ineinander - zu einer Zeit, in der beide gleichzeitig Single waren.

Mona und Mike sind jeweils in einer Familie aufgewachsenen, in denen physische und psychische Gewalt das Miteinander bestimmt haben. Beide hatten Angst vor Konflikten. Wenn sie mit einem Punkt in ihrer Beziehung unzufrieden waren, sprachen sie nicht darüber. Spannungen glichen beide jeweils für sich aus. Als sie Eltern geworden waren, versuchten sie auch die Beziehung zu ihrer Tochter Mina konfliktfrei zu gestalten - Mina war mit diesem Weg nicht einverstanden, was mit großem emotionalem Stress für Mike und Mona verbunden war. Hinzu kam eine große Erschöpfung: für Mona und Mike als Einzelpersonen und als Liebespaar blieb am Ende des Tages nichts übrig. Als Mike wegen Burnout im Job ausfiel, entschloss er sich, eine Psychotherapie zu machen, beide entwickelten unabhängig voneinander den Wunsch nach einer Paartherapie. In der Paartherapie für Eltern erarbeiteten sie einen neuen, selbstbewussten Umgang mit Konflikten - von dem beide Elternteile auch Mina profitierten.

 

Christin und Simon:

Christin und Simon haben sich in einem Kochkurs kennengelernt. Sie haben sich verliebt und gemeinsames Kochen sowie ausgiebige Restaurantbesuche waren der rote Faden in ihrem ersten gemeinsamen Jahr.

Sie sind zusammen in eine kleine Wohnung gezogen.

Simon hat eine bewegte Migrationsgeschichte. In seiner Kindheit hat Simon emotional häufig gefroren - Christin auch, sie ist mit einem strengen Vater, vier jüngeren Geschwistern und ohne Mutter aufgewachsen. Für ihre eigene Familie mit zwei Töchtern wollten Christin und Simon ein wärmendes Familienklima schaffen und sie erlebten gleichzeitig, dass kein Abend ohne großen Streit verging. In der Online-Paartherapie blickten sie gemeinsam auf ihre Geschichten und erarbeiteten Wege, wie sie Streit im Alltag reduzieren können. Sie fanden in psychologischen Kinderbüchern Worte und Bilder, um ihre eigenen Geschichten auch mit ihren Mädchen in kindgerechter Weise zu besprechen.

 

Tabea und Ramon:

Tabea und Ramon waren 15 Jahre ein Liebespaar, bevor ihre Zwillinge zur Welt kamen.

Als Elli und Erik in den Kindergarten kamen, hofften Ramon und Tabea auf neuen Schwung für ihre Liebesbeziehung. Sie spürten, dass ihre Erwartungen und Gewohnheiten, die sie in der Zeit vor den Kindern entwickelt hatten, nicht mehr zu ihnen passten. Während einer Paartherapie lernten sie sich als Paar neu kennen und suchten Rituale, die sich in den Alltag mit zwei kleinen Kindern einbauen lassen.

Ihrer Sexualität, die beide in ihrer Zeit ohne Kinder sehr genossen haben, erweckten Sie aus ihrem Winterschlaf (oder "Elternschlaf").

 

Nadine und Nick:

Nadine und Nick lernten sich auf einem Seminar kennen, beide arbeiteten gerne und viel. Auch mit zwei Kindern balancierte sie zwischen Familienleben und zwei Vollzeitjobs hin und her. Als ihr ältestes Kind auf die weiterführende Schule wechselte und ihr jüngstes Kind "aus dem gröbsten heraus war", bemerkten sie, dass sie seit Langem als Paar "nebeneinanderher" lebten. In der Paartherapie schauten sie sich ihre Biografie als Paar an - und ihre Werte und Ziele für das eigene Leben. Ihre Vorstellungen wollten sie nicht zusammenbringen. Sie entschieden sich dazu, ihre Liebesbeziehung aufzugeben. Die Zeit als Liebespaar war lange vorbei. Sie erarbeiteten im Anschluss an die Trennung die Eckpfeiler ihres neuen Lebens als Familie und sind als Elternpaar weiterhin gemeinsam für die Kinder da.

 

Paul und Pascal:

Paul und Pascal waren zehn Jahre ein Paar, als sie ihren Sohn adoptierten. Als Jonathan drei Jahre als war, spürten beide, dass ihnen die Gelegenheiten fehlten, in denen sie störungsfrei und in Ruhe miteinander Zeit als Paar verbringen konnten. Sie nutzten meinen Praxisraum zunächst als Ort, an dem ihr Kummer und ihre Sorgen ebenso einen Platz fanden wie ihre Begeisterungen und Sehnsüchte. Die Termine fanden, auch und gerade wenn der Familienkalender voll war, statt. In den Terminen erarbeiteten sie schließlich Wege, wie sie sich einen solchen Ort außerhalb der Paartherapie in ihrem Alltag mit ihren Kindern schaffen können.

 

Gülsün und Georg:

Gülsün und Georg haben sich auf einer Dating-Plattform kennengelernt - beide wollten sich den Wunsch einer eigenen Familie mit "dem richtigen Partner" bzw. "der richtigen Partnerin" erfüllen. Nach drei Fehlgeburten kam ihr Sohn Theo zu Welt. Gülsün und Georg freuten sich sehr darüber, dass Theo bei ihnen war. Gleichzeitig starteten sie nach den Jahren voller Hoffnung und Enttäuschungen traurig in die Zeit zu dritt. In der Paartherapie nahmen sie sich die Zeit, um ihre ungeborenen Kinder zu trauern. Außerdem brachten sie eine Frage mit: "Wie gehen wir damit um, dass Georg sich mehr als alles in der Welt ein zweites Kind wünscht - und Gülsün sich gegen eine erneute Schwangerschaft entschieden hat?"

 

Felix und Flora:

Felix und Flora waren während des Studiums eng befreundet und "heimlich" ineinander verliebt. Nach dem Studium sind sie in verschiedene Städte gezogen und haben sich aus den Augen verloren. Als sie sich zufällig wiederbegegnet sind, waren beide Single, sofort wieder begeistert voneinander und wenige Wochen später ein Paar. Nach dem Umzug in eine gemeinsame Wohnung haben sie sich bewusst für eine Familiengründung entschieden. Nach der Geburt von Finn machte sich bei beiden eine große Unzufriedenheit breit - sie verstanden nicht warum, schließlich hatten sie alles, was sie sich gewünscht hatten. In der Paartherapie stießen sie darauf, dass Felix und Flora sich nie in Ruhe die Verteilung der Aufgaben angeschaut und nach Stärken und Vorlieben verteilt hatten. Ihre "klassische Verteilung" der Aufgaben war nicht bewusst gewählt. Sie waren unzufrieden und ausgelaugt. Weder Flora noch Felix erlebte sich in einem Leben, das ihnen entsprach. In der Paartherapie nahmen sie eine Bilanzierung vor. Sie warfen einen Blick auf den Energietopf als Familie und verteilten Aufgaben bzw. Zuständigkeiten neu - entsprechend ihrer Merkmale und Eigenschaften.

 

Jessie und John:

Jessie hat sich in John verliebt, weil sein Temperament sie begeisterte - und der Schwung, den er in ihr Leben brachte. Für John wurde Jessie sein "Fels in der Brandung", die Ruhe, die sie ausstrahlt, tat ihm gut. Ein Jahr nach ihrer Hochzeit wurde Jessie schwanger und das erste Jahr mit Jonas war für beide schön. Als Jonas mobiler wurde und zunehmend eigene Vorstellungen entwickelte, streiteten sich Jessie und John immer häufiger. Sie hatten unterschiedliche Vorstellungen dazu, wie sie als Eltern mit John umgehen sollten. In der Paartherapie erarbeite John, wie er seinem Temperament "etwas Feinschliff verpassen" kann, so dass sich Jessie und Jonas weniger erschrecken. Jessie wiederum entwickelte Strategien, um Johns Kraft standhalten zu können. John beobachtete seine Eltern interessiert dabei, wie sie im Umgang mit ihren unterschiedlichen Merkmalen zunehmend selbstbewusster werden.

 

 

Welche Haltung brauchen Paare?

Was all diesen Paaren gemeinsam ist: sie haben die Haltung, dass es vorkommen kann, als Paar auch mal festzustecken und dass Veränderung möglich ist. Und sie wissen, dass man bei Schwierigkeiten nicht alleine ist, sondern sich Unterstützung holen darf. Und dass es am Ende nicht nur schwarz und schwer zugeht, wenn man in einer Krise steckt. Genauso wie die Kinder es tun, dürfen auch Erwachsene ihre Fantasie nutzen, wenn es neue Lösungen braucht.

 

Unsere Kinder zeigen uns ohnehin, wie es gelingen kann: Kinder tun, was ihnen entspricht, sie drücken ihre Gefühle unmittelbar aus und strecken ganz selbstverständlich die Hand nach jemanden aus, der die Richtung kennt. Denn so lässt sich der eigenen Weg am besten gehen.

 


*Hinweis: Die Beispiele der oben beschriebenen Paare sind fiktiv. Ich habe sie entwickelt auf der Basis meiner Erfahrungen als Psychologin und (Online-) Paartherapeutin. Die Privatsphäre meiner Klient*innen bleibt geschützt.

Die Zusammenhänge sind nicht als kausal zu verstehen, sondern hängen komplex zusammen.

Ich möchte Leser*innen Mut machen und zeigen, dass es vielen Paaren ähnlich geht.

 


Wer schreibt hier?

 

Dies ist das Blog des Halthafens von Julia Schneider, Psychologin und Mutter von zwei Kindern.

 

Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.