"Liebes Seelenauto!
Wie sage ich, was ich fühle, wenn es dafür kein Wort gibt?"
Seelenauto:
"Ich mache das so: Ich bleibe stehen, stelle den Autolautsprecher an und höre meine Lieblingslieder - bis ich eins finde, das passend ist. Manchmal rufe ich dann den kleinen, grünen Motoroller
und sage: Hör Mal! So geht's mir!
...Weil man mit großen Gefühlen manchmal besser mit Lieblingsliedern klarkommt – und wenn da jemand ist, der uns versteht.“
Wenn du hier mitlest bzw. ihr hier mitlest, kennt ihr vielleicht schon das Seelenauto.
Das Seelenauto ist eine Figur, die ich entwickelt habe, um Eltern und Kindern in kurzen Geschichten und Dialogen von psychischen Prozesse zu "erzählen". Und das Seelenauto hat einen Freund: den
kleinen, grünen Motoroller. Bei den beiden ist es wie im echten Leben: das Miteinander ist ganz und gar nicht nur einfach. Gerade wenn es knifflig wird, greift das Seelenauto auf ein wahres
Wunderwerkzeug zurück... Musik!
Lieder, Klänge, Melodien und Songtexte können ein richtiges Wunderwerkzeug sein - das auch im Familienalltag und in der Partnerschaft verschiedene Funktionen erfüllen kann.
Die psychologische Wirkung von Musik ist vielgestaltig
Zur Einstimmung auf dieses Thema, möchte ich zwei Frage stellen: Was passiert, wenn du dein Lieblingslied spielst? Und was passiert im Vergleich dazu, wenn du ein Lied einer Musikrichtung hörst, die du überhaupt nicht magst?
In der (Online-) Paartherapie und Paarberatung frage ich gerne nach den Lieblingsliedern von Paaren; viele Paare haben "ihr Lied".
Musik kann unsere Stimmungen unmittelbar beeinflussen. Töne und Klänge wirken auf unser Gehirn, auf das zentrale und autonome Nervensystem.
Klänge können uns beruhigen oder aktivieren.
Musik kann uns zur Bewegung anregen - Bewegung wiederum hilft beim Abbau von Stresshormonen, zum Beispiel nach einem Streit.
Musik kann die Verbundenheit zwischen Partnerinnen und Partnern und innerhalb der Familie stärken (über Bindung schreibe ich beispielsweise hier). Manche Paare haben ein Lied, das sie immer wieder hören. Und manche Familien haben "Familiensongs", die sie beim Abendessen als Ritual immer wieder laufen lassen - oder wenn ein Tag besonders schön oder auch „irgendwie blöd“ war.
Musik kann in uns schlummernde stärkende Erinnerungen wecken. Durch diese Wirkungen kann Musik zur Bewältigung von Stress ("Stressregulation") genutzt werden.
Diese Effekte kannst du gleich einmal ausprobieren: höre ein Lied, dass in der Vergangenheit für dich wichtig war und beobachte ganz bewusst, welche Gefühle und Erinnerungen die Musik unmittelbar in dir weckt.
Es steckt ein großes Potential in der Musik. Wenn wir dieses Potenzial bewusst nutzen und unsere Klangumgebung aktiv gestalten, können wir damit unsere eigene Befindlichkeit und das gesamte Familienklima positiv beeinflussen.
Mit Musik kommunizieren
Es gehört auch 2023 noch nicht zum Standard, dass wir unseren Lieblingsmenschen wirklich etwas Relevantes über uns mitteilen. Viele Paare stolpern über Kommunikationsprobleme. Oft halten wir uns mit den Dingen auf, die um uns herum passieren. Gerade wenn wir uns überfordert fühlen, Kummer mit uns herumtragen oder unausgeglichen sind, neigen wir dazu, uns auf die Versäumnisse und Macken der anderen Menschen zu konzentrieren. Wir suchen mit der Lupe die Außenwelt ab. Ein Beispiel: Vielleicht fragt unser Partner oder unsere Partnerin, ob es „reinpasst“, wenn er oder sie gleich zum Sport gehen würde. Und wir antworten: „Die Spülmaschine muss noch ausgeräumt werden - und die Rechnungen von dieser Woche sind auch noch nicht bezahlt. Und überhaupt: was ist das für eine beknackte Frage, du siehst doch, dass es hier gerade vier Hände braucht.“
Eine persönliche Antwort wäre: "Ich bin müde und erschöpft und brauch' dich heute."
Um miteinander in Verbindung zu kommen, braucht es den Blick nach innen. Wir müssen wir uns zuerst einmal selbst spüren - mitkriegen, was mit uns gerade los ist und dies auch kommunizieren: "Schau mal: so geht's mir gerade!"
Jeder Mensch erlebt täglich eine breite Palette an Gefühlen und Zuständen. Kinder tragen ihre Gefühle häufig ungefiltert nach außen - und sind damit die Hüter und Hüterinnen unseres Menschseins.
Gefühle, die uns als Eltern immer wieder herausfordern sind Ärger und Wut. Insbesondere die Wut hat große Kraft. Und es kostet Kraft, die Wut der Kinder zu begleiten. Je nach Kind und das Alter sind es manchmal die Nudeln, die nicht mehr vorrätig sind, die Wolken, die davonziehen, die Buchstaben, die anders auf dem Papier stehen als gewollt, die Klamotten, die gerade in der Waschmaschine sind, die Freundinnen, die die Verabredung abgesagt haben – es sind viele Dinge, die die Welt der Kinder emotional ins Wanken bringen können.
Mit uns selbst gehen wir oft hart ins Gericht, wenn wir als Erwachsene die eigene Wut spüren. Vielen Eltern fällt es schwer, sich selbst Ärger zuzugestehen. Wir schieben unseren Ärger weg. Irgendwann platzt uns der Kragen und wir verletzen die Menschen um uns herum – und finden uns selber doof dafür. Viele Erwachsene haben nicht gelernt, wie Wut sozial verträglich wirklich ausgedrückt werden kann. Eine Möglichkeit ist der Ausdruck über Musik. Kraftvolle oder beruhigende Musik anhören oder selber Musik machen. Für den Alltag mit Kindern können Eltern auch mit „Wut-Songs“ experimentieren. Beispiele für „Wut-Songs“ sind „Manchmal hab‘ ich Wut“ von Afrob oder „Wo ist die Wut, wenn ich wütend bin“ von Fredrik Vahle.
Ganz allgemein möchte ich es so formulieren: wir können Lieder und Klänge nutzen, um den "Dingen", die zu uns als Menschen gehören, einen Platz anzubieten - ganz bewusst auch den menschlichen Anteilen von uns, mit denen wir in der Welt da draußen manchmal nicht "gut ankommen".
"Ich liebe dich" in Klängen - und eine musikalische Umarmung
Auch als Liebespaar könnt ihr die besondere Wirkung der Musik bewusst nutzen. Nachfolgend möchte ich euch eine Anregung anbieten: Erstellt euch eine Playlist für eure Partnerschaft. Nutzt dafür eure Musikbiografie. Eure Musikbiografie sind alle Lieder, Musikstücke und Songtexte, die euch in einer bestimmten Weise verbinden – beispielsweise:
eure Lieblingsmusik aus der ersten gemeinsamen Zeit,
- euer Hochzeitslied, wenn ihr verheiratet seid,
- Lieder, die ihr gerne im Alltag gemeinsam mit euren Kindern hört,
- Songs, die euch an Krisen erinnern, die ihr bewältigt habt.
Eure Playlist könnt ihr aktiv nutzen, indem ihr die Lieder immer wieder bewusst spielt. Ihr könnt eure Musik anhören, bevor ihr in potentiell herausfordernde Situationen miteinander kommt (z.B. bevor ihr mit dem Gespräch über ein wichtiges Thema beginnt) oder auch nachdem ihr euch in einen Streit hineingezwirbelt habt. Ihr könnt eure Songs hören, wenn ihr euch nach einem anstrengenden Tag am Abend wiederseht oder auch, wenn ihr seit langem mal wieder einen Abend für euch alleine habt (für unser Nervensystem können auch Momente von großer Freude eine Herausforderung sein).
Ein Klangteppich für den Alltag
Für mich selbst gehört Musik zu den wichtigsten Ressourcen in meinem Alltag – gerade auch mit meinen Kindern (neben den psychologischen Kinderbüchern, über die ich hier auch immer wieder schreibe).
Für mich ist Musik wie ein Teppich, auf dem wir Platz nehmen können und der dafür sorgt, dass wir es weich haben und gehalten werden – auch dann, wenn sich das Leben von seiner rauhen Seite zeigt.
Ich wünsche euch, lieben Leser*innen, viel Freude beim Gestalten eures ganz persönlichen Klangteppichs – als Paar und als Familie.
Wer schreibt hier?
Dies ist das Blog des Halthafens von Julia Schneider, Psychologin und Mutter von zwei Kindern.
Meine Texte ergeben sich aus der Beschäftigung mit psychologischer und systemischer Literatur und Forschung, meinen Erfahrungen in der Paartherapie mit Eltern in meiner Praxis in Darmstadt und der Paarberatung und Paartherapie online sowie aus meinem Leben als Mama von zwei Kindern. Aus meiner Arbeit heraus entwickele ich außerdem psychologische Kinderbücher. Wenn du über neue Texte informiert werden magst, folge mir gerne auf Instagram oder trage dich gern für meinen Newsletter ein.