
Es gibt Momente, in denen ein Streit mehr über uns selbst erzählt als über unseren Partner oder unsere Partnerin. Wenn eine scheinbar kleine Sache – wie die volle Spülmaschine, die Zahnpastatube oder der Nachtisch für die Kinder – zu einem großen Streit führt oder wir innerlich abschalten und einen tiefen Schmerz spüren, dann ist ein sensibler Punkt in uns aktiviert. Doch was passiert in solchen Momenten? Und wie können wir diese Momente für uns und unsere Partnerschaft nutzen?
Wenn Zurückweisung die Normalität ist
Stell dir vor, du schaust einen Film, der dich emotional herausfordert. Dein Nervensystem ist so überlastet, dass du den Ton ausschaltest, um die intensiven Gefühle zu regulieren. Bei Bindungstrauma ist es ähnlich: In belastenden Momenten, in denen wir uns als Kinder nicht sicher und gehört fühlten, haben wir gelernt, uns emotional abzuschalten – eine Schutzstrategie, um uns vor überwältigenden Gefühlen zu bewahren.
Nehmen wir das Beispiel von Lou, die als Kind wiederholt die Erfahrung machte, dass ihre Bezugspersonen wenig Verständnis für ihre emotionalen Bedürfnisse zeigten. Wiederholte Zurückweisung prägte Lou nachhaltig und beeinflusste ihr Verhalten in späteren Beziehungen.
Schon als Baby und Kleinkind erlebte Lou wenig Resonanz. Ein Beispiel: Mit zwei Jahren tapste Lou voller Aufregung ins Wohnzimmer und zeigte ihren Eltern einen Stein, den sie im Garten gefunden hatte. Sie erhoffte sich einen anerkennenden Blick – ihre Eltern blickten nur kurz auf, und ihre Mutter sagte: „Bring das dreckige Ding sofort zurück!“ Danach wandten sich beide wieder anderen Dingen zu. Lou fühlte sich in ihrer Begeisterung nicht wahrgenommen.
Wenn Lou sich nach einem unangenehmen Erlebnis im Kindergarten, etwa einem Streit mit anderen Kindern, traurig und verletzt an ihre Eltern wandte, reagierten diese oft gestresst oder sagten: „Jetzt nicht, Lou, keine Zeit!“ – manchmal ignorierten sie sie auch ganz. Bei einem aufgeschürften Knie hörte Lou: „Ach komm, das ist doch nichts.“
Diese Erfahrungen wiederholte sich immer wieder, sodass Lou lernte, ihre Freude und Aufregung und ihren Kummer für sich zu behalten. Lou entschloss sich, ihre Gefühle nicht mehr zu teilen, aus Angst, wieder abgewiesen oder ignoriert zu werden.
Später, in der Grundschule, versuchte Lou gar nicht mehr, sich mit ihren Gefühlen an Erwachsene zu wenden. In der Schule wurde sie häufig von Mitschüler*innen geärgert. Sie hatte längst beschlossen, ihre Bedürfnisse und Emotionen für sich zu behalten. Lou „schaltete den emotionalen Ton ab“, um sich vor erneuter Zurückweisung zu schützen.
Bindungstrauma und Bindungsunsicherheit - wenn wir unsere verletzliche Seite verstecken
Diese Strategie half Lou, mit den wiederholten Enttäuschungen in ihrer Kindheit umzugehen – gleichzeitig hat sie wie alles im Leben auch ihre Nachteile. In Freundschaften und Liebesbeziehungen fällt es ihr schwer, ihre Gefühle offen zu zeigen oder ihre Bedürfnisse klar und liebevoll zu formulieren. Häufig spürt sie eine innere Mauer, die sie daran hindert, Nähe und Verbundenheit zu erfahren.
Bindungstrauma entsteht, wenn unser Bedürfnis nach Nähe und emotionaler Unterstützung von wichtigen Bezugspersonen wiederholt ignoriert, abgewertet oder belächelt wird. Wir lernen dann, uns von unseren Gefühlen zu distanzieren, um den Schmerz der Ablehnung oder des Nicht-Verstanden-Werdens zu vermeiden.
Wer ist von Bindungsproblemen betroffen? – Ein Blick auf die Häufigkeit und Auswirkungen in Beziehungen
Schätzungen zufolge sind etwa 40-50% der Menschen in Deutschland von Bindungsproblemen betroffen, wie verschiedene Studien zeigen. Das bedeutet, dass fast jede zweite Person in Beziehungen Schwierigkeiten hat, Nähe zuzulassen. Dies führt häufig zu Missverständnissen, Streitigkeiten und dauerhafter emotionaler Distanz. Das Spektrum reicht dabei von allgemeiner Bindungsunsicherheit bis hin zu traumatischen Bindungserfahrungen. Die Abgrenzungen sind fließend, doch entscheidend ist, wie wir Nähe erleben: Wenn wir immer wieder feststellen, dass uns Nähe schwerfällt oder wir uns in Beziehungen zurückziehen, könnte es hilfreich sein kann, die eigene Bindungsgeschichte zu betrachten. Denn unverarbeitete Verletzungen können unsere Beziehungen und unser emotionales Wohlbefinden stark beeinflussen.
In Liebesbeziehungen kommen zwei Menschen zusammen, die jeweils ihre eigenen Stärken und Belastungen mitbringen. In der (Online-)Paartherapie geht es darum, wieder Zugang zu den eigenen emotionalen Ressourcen zu finden, den „inneren Ton“ wieder einzuschalten und die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu erkennen und auszudrücken.
Die Rolle von Struktur und Orientierung in der (digitalen) Paartherapie
Paare, die schwierige Erfahrungen aus früheren Beziehungen – sei es mit den Eltern oder aus der eigenen Partnerschaft – mitbringen, profitieren meiner Erfahrung nach häufig von einer klaren Struktur und Orientierung in der Paartherapie. Viele Paare möchten verstehen, warum sie streiten oder schweigen, und sie sollten erfahren, dass ihre Reaktionen nicht auf Unfähigkeit oder „Beziehungsunfähigkeit“ hindeuten, sondern normale menschliche Stressreaktionen sind. Sie benötigen Halt und Orientierung, um ihre Streit- und Schutzmuster zu erkennen und zu verändern. Der Fokus liegt darauf, die Verbindung zueinander wiederherzustellen.
Dabei behalte ich auch die Kinder stets im Blick, denn es geht nicht nur darum, die Beziehung der Eltern zu stabilisieren, sondern auch, sie von belastenden Dynamiken zu entlasten. Eine Paartherapie in meiner (Online-) Praxis gliedert sich in drei Phasen, die sich über mehrere Monate erstrecken. Ziel ist es, tiefgehende Prozesse anzustoßen und aufzuarbeiten. Paare entwickeln die nötigen Ressourcen und Strategien, um frühzeitig und sicher zu erkennen, wenn sie in ihre (Streit-) Muster rutschen, die ihre Verbindung belasten. Sie lernen, wie sie diese Muster stoppen und ihre Beziehung wiederherstellen können, um ihre Herausforderungen in Zukunft selbstständig und zugewandt anzugehen.
Das Paartherapie-Mitmach-Buch – Ein praktisches Werkzeug für Paare
Ein Instrument, das ich seit 2025 in meiner Arbeit mit Paaren nutze, ist das „Paartherapie-Mitmach-Buch“. Es ist ein praktischer Begleiter für Paare, die ihre Beziehung verstehen und verletzenden Streit in wärmende Verbindung wandeln möchten. Das Buch hilft dabei, Muster zu erkennen und bietet konkrete, alltagsnahe Übungen, um eine stärkere Verbindung zu schaffen. Es führt Paare durch die Phasen der Paartherapie und stärkt die emotionale Stabilität der ganzen Familie.
Kapitel für das Paar helfen, Gespräche vor- und nachzubereiten. Mit dem Buch wissen Paare wo sie stehen und wie sie ihren Weg in der Paartherapie von zu Hause aus unterstützen können - in alltagsgerechten kleinen Häppchen.
Die „Kinderseiten“ des Buches helfen den kleinen Passagieren an Bord, die Reise ihrer Eltern zu verstehen. Kinder spüren oft die Spannungen, die durch den Streit der Eltern entstehen, ohne genau zu wissen, was vor sich geht. Die „Kinderseiten“ bieten kindgerechte Erklärungen und Übungen, die den Kleinen helfen, ihre Gefühle zu verstehen und mit der Situation umzugehen. Ich möchte Eltern dazu einladen, nicht nur als Paar den Kurs zu korrigieren, sondern auch den Kindern klar und feinfühlig dabei zu helfen, schwierige Momente im Familienalltag zu verarbeiten.

Die Reise einer (Online-) Paartherapie – Mit Mut und einem klaren Kurs
Keine Reise verläuft immer geradeaus – auch nicht in der Paartherapie. Neben den Momenten, in denen Paare neue Erkenntnisse gewinnen, ihre Streitmuster benennen und frühzeitig umleiten können - oder stolz auf die Fortschritte sind - gibt es auch stürmische Momente. In diesen Momenten kommen manchmal alte Ängste und unverarbeitete Verletzungen wieder an die Oberfläche und stellen das Paar vor Herausforderungen. Mit dem "Paartherapie-Mitmach-Buch" erhalten Paare ein wertvolles Werkzeug, das ihnen hilft, auch in schwierigen Zeiten wieder zueinander zu finden, Erlerntes neu zu aktivieren und sich immer wieder auszurichten.
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Bindungsorientierte Paartherapie online und Paartherapie in Darmstadt für Paare mit Kindern
Ich bin Julia Schneider und begleite als Psychologin und Paartherapeutin Eltern auf ihrem Weg in eine haltgebende Beziehung. Mein Ansatz verbindet (Online-) Paartherapie mit einem besonderen Blick auf die kindliche Entwicklung: Kinder lernen bei jedem Schritt der Eltern, wie Liebe gelingt – ohne an den Terminen teilzunehmen und ohne von Erwachsenenthemen überfordert zu werden. Ich zeige Eltern, wie das geht.
Wenn ihr nach „Paartherapie in der Nähe“ oder einer flexiblen Online-Paartherapie sucht, seid ihr bei mir richtig. Meine Praxis für Paartherapie in Darmstadt ist digitalisiert, und ich begleite Paare deutschlandweit.
Basierend auf meinen Erfahrungen als Psychologin und Mama von zwei Kindern entwickle ich psychologische Kinderbücher, die Familien stärken können. Denn im Land der Fantasie wachsen wir über uns hinaus.